59 Prozent der IT- und Telekommunikations-Unternehmen in Deutschland sind den Ergebnissen einer aktuellen Umfrage von Bitkom Research zufolge davon überzeugt, dass sich das Fachkräfteproblem ohne Frauen nicht lösen lässt. Und 74 Prozent befürchten, ohne Frauen verspiele die Branche ihre Zukunft.
Die Reaktion ist vorhersehbar: Der Staat soll´s richten. 61 Prozent der Befragten sind der Meinung, die Politik müsse mehr tun, um Frauen in der ITK-Branche zu fördern. Ebenfalls vorhersehbar: Bei Großunternehmen ist dieser Ruf besonders laut. Hier sind 78 Prozent dieser Ansicht. Es gibt allerdings auch selbstkritische Unternehmen. 69 Prozent der Befragten glauben, dass die ITK-Branche das Potenzial von Frauen unterschätze, 59 Prozent glauben, dass die Branche Frauen abschreckt.
Vor allem in kleineren Unternehmen (mit 10 bis 199 Beschäftigten) ist aktuell die Annahme verbreitet, dass Männer für ITK-Berufe einfach besser geeignet sind. Fast jedes vierte Unternehmen in dieser Größenordnung denkt so.
Das hält Bitkom-Präsident Achim Berg für bedenklich: "Wer in verantwortlicher Position meint, Frauen seien für die Digitalbranche weniger geeignet als Männer, verbaut seinem Unternehmen Entwicklungschancen." Als Teil einer Lösung schlägt Berg vor: "Wir müssen bereits in Schule und Hochschule ansetzen, um junge Frauen und Mädchen für die vielfältige Arbeit mit und an digitalen Technologien zu begeistern."
Vorurteile machen es Frauen schwer
Dass Vorurteile bezüglich IT- und Technikkompetenzen von Frauen weit verbreitet sind, zeigen auch die Ergebnisse einer Umfrage im Auftrag des eco Verbands im Vorfeld des Internationalen Frauentages 2023. 44,9 Prozent der Männer und 32,5 Prozent der Frauen attestieren demnach Frauen ein geringeres Interesse an Technik und IT als Männern.
41 Prozent der Frauen aber nur 28,5 Prozent der Männer sagen, dass Frauen technische Kompetenz schlichtweg nicht zugetraut wird. Die fehlende Förderung von Frauen im Fachgebiet machen 32,8 Prozent der Befragten dafür verantwortlich, dass der Frauenanteil in IT-Berufen niedrig ausfällt.
Dem von der EU-Kommission im November 2021 vorgelegten Digital Economy and Society Index zufolge versperren Mädchen schon früh tradierte Rollenklischees und Kompetenzzuschreibungen von außen den Weg in eine Karriere in Technologieberufen. Auch deshalb erwägen im Alter von 15 Jahren bei den Mädchen nur ein Zehntel so viel wie bei den Jungen, einen technischen Beruf zu ergreifen.
Defizite bei der ITK-Ausbildung
"Informatik und digitale Kompetenzen müssen in Deutschland flächendeckend Einklang in die Curricula der Schulen finden, damit Mädchen möglichst früh ihre Begeisterung und ihr Talent für Tech-Themen entfalten", fordert daher Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco Verbands. "Denn bereits hier sehen wir ein Defizit an den Schulen, welches sich in der Wertschöpfungskette gewissermaßen nachhaltig fortsetzt", mahnt Süme.
Ende 2022 fehlten laut Süme am deutschen Arbeitsmarkt rund 326.000 MINT-Fachkräfte (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Dieser Mangel an Beschäftigten mit fortgeschrittener Digitalkompetenz sei ein wesentlicher Faktor, der die digitale Transformation in den EU-Mitgliedstaaten bremse. "Unternehmen brauchen jetzt klare Strategien auf Top-Managementebene, um den Frauenanteil in Tech signifikant zu erhöhen", fordert Süme.
Mit der Ausbildung hapert es allerdings schon länger. Der von McKinsey im Januar 2023 vorgelegten Studie "Women in tech: The best bet to solve Europe's talent shortage" zufolge stagniert die Zahl der MINT-Absolventinnen seit 2016. Beispielsweise lag der Anteil der Bachelor-Absolventinnen in MINT-Fächern 2016 bei 33 Prozent, 2020 bei 32 Prozent gesunken. "Zudem finden sich in Berufen oder Bereichen mit klarem Technologieprofil (z.B. Cloud oder DevOps), schnellem Wachstum und einem hohen Bedarf an Technologietalenten die wenigsten Frauen", teilte das Beratungsunternehmen mit. Ohne Gegenmaßnahmen drohe der Anteil von Frauen in den Technologiesegmenten in Europa bis 2027 auf 21 Prozent zu sinken.
Um zu ermitteln, an welchen Stellen Frauen derzeit aus dem Tech-Talentpool fallen, hat die Studie einerseits Zahlen zum Bildungsbereich (schulische wie universitäre Ausbildung) sowie andererseits Zahlen zur Erwerbsbevölkerung in der EU untersucht. "Während der Grund- und Sekundarschulbildung gibt es keine Hinweise darauf, dass Jungen besser in Mathe oder Informatik sind als ihre Klassenkameradinnen", berichtet Melanie Krawina, Beraterin aus dem Wiener McKinsey-Büro.
Sogenannte Drop-off-Punkte, also Stellen im Lebenslauf, an dem sich der Lebensweg von einer Karriere in einem Technologieberuf entfernt, sei dann die Einschreibung für eine universitäre MINT-Disziplin (minus 18 Prozentpunkte, bei ITK-Disziplinen sogar minus 31 Prozentpunkte) sowie der Einstieg in einer Tech-Rolle in das Berufsleben nach dem Studium. Den schaffen nur 23 Prozent der MINT-Absolventinnen. Bei den Männern sind es mit 44 Prozent nahezu doppelt so viele.
Was Frauen aus der IT zu Diversity sagen
Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e.V. (DSAG) hatte bereits im Juli und August 2022 unter Frauen aus der IT-Branche und dem SAP-Umfeld eine Umfrage zum Thema "Diversity: nur Modekram oder nachhaltiger Management-Ansatz?" durchgeführt. Bei Diversität (die ja nicht nur Förderung von Frauen umfasst) in ihrem Unternehmen sahen 42 Prozent noch "Luft nach oben". Nur 19 Prozent bewerteten die Situation mit "sehr gut", 31 Prozent mit "gut".
Bei den in den Unternehmen umgesetzten Maßnahmen lagen "Gendergerechte & diverse Kommunikation" (35 Prozent), "Interkulturelle Angebote" (23 Prozent), "Spezielle Fördermaßnahmen für Frauen" (22 Prozent) sowie "Diversity-Schulungen" (13 Prozent) vorne. Allerdings zeigten die Antworten auf die offene Fragen in der Umfrage, dass die befragten Frauen einerseits mit dem Stand der Umsetzung sowie der Art der Umsetzung oft sehr unzufrieden sind. Zum Beispiel erklärten sie:
"Es muss darauf geachtet werden, dass die Frauen daraus kein eigenes Thema machen, sondern alle mit abholen, damit es zum gemeinsamen Thema wird."
"Fühle mich nicht benachteiligt und finde diese ganzen Diskussionen einfach nur nervig und anstrengend."
"So wie Diversity bei uns umgesetzt werden soll, ist es absoluter Schwachsinn!"
"Da, wo Diversität gelebt wird, sind keine besonderen Fördermaßnahmen für Frauen notwendig.
"Wieso darf ich nicht sagen, ich bin Gruppenleiter? Das ist meine Rolle, nicht mein Geschlecht."
"Diversity ist für mich nicht dieser Quatsch mit der gendergerechten Sprache, ehrlich gesagt fühle ich mich als Frau dadurch eher diskriminiert, da es von den eigentlichen Schwachstellen bei der Gleichbehandlung vor allem im beruflichen Umfeld der Geschlechter vortrefflich ablenkt."
Franziska Niebauer, Mitglied des Kern-Teams der Initiative DSAG@Women kommentiert das so: "Über die Relevanz beziehungsweise Daseinsberechtigung des Themas sollte in unserer globalisierten Welt nicht mehr diskutiert werden müssen. Es gibt Unternehmen, die Diversität extern als Botschaft und Wert feiern, in der eigenen Unternehmensstruktur aber leider ziemlich homogen aufgestellt sind. Und genau hier sehe ich die Gefahr, dass Diversität zu einer 'Modeerscheinung' wird, zu einem beliebten und prominenten Diskussionsthema."
Es diene dann nur noch dem Corporate-Branding und solle beim Recruiting und der Kundenakquise helfen, anstatt in den Köpfen und den Unternehmensstrukturen umgesetzt zu werden. "Meines Erachtens geht es darum, einen Konsens für Diversität und Gleichberechtigung mit allen Beteiligten zu finden: Denn jeder Projekterfolg ist abhängig vom Einbezug aller Stakeholder. So sehe ich das auch beim Thema Diversität", erklärt Niebauer.
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